SAFE CITY

»Die Schwierigkeit liegt darin, von der Freiheit gerade so viel zu opfern, wie nötig ist, um die Qual der Unsicherheit erträglich zu machen, so dass man mit ihr leben kann.« (Zygmunt Bauman)

Das urbanize! Festival 2014 widmet sich unter dem Motto Safe City Fragen der Sicherheit im urbanen Raum und untersucht den Bedeutungswandel des Begriffs ebenso wie tatsächliche Anforderungen an eine gesicherte Lebensführung. Neben der Beschäftigung mit der rasanten Entwicklung von Überwachung und Kontrolle in unseren Städten und den dahinter stehenden Macht- und Profitmechanismen liegt ein besonderer Schwerpunkt der 5. Festivalausgabe auf Möglichkeiten der Förderung sozialer Sicherheit in Zeiten der Krise und den potentiellen Chancen für ein Erstarken der Stadtgesellschaft durch neue soziale urbane Bewegungen. In Vorträgen, Diskussionen, Workshops, Stadtspaziergängen, Filmen und Performances werden diese Aspekte beleuchtet, Bottom-up-Inititativen und -Netzwerke vorgestellt und alternative Formen zur Herstellung von Sicherheit durch solidarisches Handeln erforscht. Gemeinsam mit Publikum und Gästen aus Wissenschaft, Kunst und Aktivismus will sich das Festival zum 5. Mal schlau machen auf dem sicheren Weg in die Zukunft.

dérive

Sicherheit – was, wo und für wen?

Parallel zur rapiden ökonomischen und technologischen Entwicklung der Städte scheint das Sicherheitsbedürfnis der BewohnerInnen ständig anzuwachsen. Sicherheit hat im politischen und medialen Diskurs in den letzten Jahren einen ungeheuren Aufschwung erfahren. Dieser geht mit einer Bedeutungsverschiebung einher, die sowohl mit dem Erstarken von populistischen und rechtsextremen Parteien als auch mit der Ideologie des Neoliberalismus in Zusammenhang zu bringen ist. Verband man in Zeiten des klassischen Wohlfahrtsstaates Sicherheit noch mit sozialen Themen wie beispielsweise der Sicherung von Arbeitsplätzen, leistbarem Wohnraum und gleichen Chancen für alle, steht heute der Schutz vor Kriminalität und Terrorismus an oberster Stelle. Mit dem Argument des subjektiven Sicherheitsempfindens werden dabei immer weitere gesellschaftliche Gruppen aus den zentralen Lagen der Städte verdrängt.

Urbane Kompetenz

Ein Lösungsansatz wider die stetig steigenden Forderungen nach Kontrolle und Überwachung kann in der Stärkung von urbanen Kompetenzen der Bürger und Bürgerinnen liegen. Gemeint ist damit die wohlwollende Konfrontation mit der ureigensten Charakteristik der Stadt – der verdichteten Unterschiedlichkeit – und einem offenen und selbstverständlicheren Umgang mit alltäglichen urbanen Konflikten. In der Akzeptanz der Tatsache, dass urbanes Leben Konflikt und Aushandlung bedeutet, sollte der Fokus kommunaler Einrichtungen weniger auf von oben gesteuerter Problemlösung für die StadtbewohnerInnen als vielmehr auf einer Erhöhung deren eigener Problemlösungskompetenz liegen.

Kontrolle und Überwachung

Ganz im Gegensatz dazu wird jedoch weiterhin die Videoüberwachung des öffentlichen Raums durch CCTV und andere digitale Maßnahmen intensiviert, ebenso wie laufend neue rechtliche Möglichkeiten der Verdrängung und Kontrolle geschaffen werden: Schutzzonen, Platzverbote, Wegweiserechte, Gefahrenzonen und Stop and Frisk sind heute alltägliche Praxis in vielen Städten. Dahinter steckt auch handfeste Profitabsicht, denn der Ausbau von Überwachung und Kontrolle bringt gute Geschäfte. Zwischen 2001 und 2011 hat sich der weltweite Markt für die boomende Sicherheitsbranche laut einer Studie der EU auf rund 100 Milliarden Euro verzehnfacht. Auch in Europa verzeichnet die Sicherheitsbranche Wachstumsraten weit über dem Durchschnitt anderer Wirtschaftsbereiche. Dabei rückt der zivile Sektor und damit insbesondere die Stadt als Marktsegment für Rüstungskonzerne und Sicherheitsindustrie ins Blickfeld des Interesses. Argumentiert wird nicht mehr ausschließlich mit Sicherheit, sondern zunehmend auch mit Effizienz. Die Stadt als Ort gesellschaftlicher Auseinandersetzung ist von der Fülle dieser Entwicklungen besonders betroffen. Im Zuge des forciert angestoßenen Sicherheitsdiskurses sehen sich auch soziale Bewegungen immer öfter mit restriktiven Einschränkungen und sicherheitspolizeilichen Maßnahmen konfrontiert. Den InitiatorInnen und BefürworterInnen dieser demokratiepolitisch bedenklichen Sicherheitspolitik kann getrost unterstellt werden, ganze Städte nach dem Vorbild von Gated Communities organisieren zu wollen und damit Urbanität gänzlich auszulöschen: In Summe eine antiurbane Dystopie.

Solidarität und soziale Innovation

Diesen überbordenden Bestrebungen nach Überwachung und Kontrolle gilt es Visionen einer selbstbestimmten und solidarischen Stadt gegenüber zu stellen, denn die Stärkung sozialer Beziehungen verspricht eine hohe Rendite für das subjektive Sicherheitsempfinden des sozialen Wesens Mensch. In vielen europäischen Krisenländern und ihren urbanen Ballungsräumen lässt sich ein Trend zum solidarischen Handeln und eine deutliche Abkehr vom jahrzehntelangen Ellbogen-Individualismus ausmachen, der Anlass zur Hoffnung gibt und als echtes Potential für die Zukunft der Stadtgesellschaft weiterentwickelt werden sollte.

urbanize! 2014 Safe City widmet sich dem Phänomen Sicherheit in facettenreichen Annäherungen zwischen tatsächlichem Sicherheitsbedarf, Überwachungsideologie und solidarischen Gesellschaftsentwürfen. Das Festival will Fragen aufwerfen und Antworten suchen, Erkenntnisse austauschen und Lösungsansätze diskutieren, Netzwerke vorstellen und Raum für neue Allianzen eröffnen. Die Entscheidung für eine offene Stadtgesellschaft fällt tagtäglich aufs Neue und benötigt heute mehr Engagement denn je.

»Wenn wir die Welt aussperren und die Stadt abriegeln, schließen wir uns im Gefängnis unserer eigenen Ängste ein.« (John Friedmann)